18. Oktober 2017 – Kommunikation

Korrektorat – warum Qualität auslagern ein schlechter Entscheid ist

 

Die Nachricht schlug in unserem Korrektorat wie eine Bombe ein. Im September meldete das Onlineportal persönlich.com, dass die NZZ-Regionalmedien ihre Korrektorate ins Ausland verlagern. Die Regionalseiten von Luzerner Zeitung und St. Galler Tagblatt würden aus Spargründen künftig – Sie hören richtig – in Bosnien-Herzegowina korrigiert. Selten habe ich von einem solch fachfremden Managemententscheid gehört. Lesen Sie hier warum.

 

 

Mit meiner Reaktion auf diese Nachricht war es wie mit den Entgegnungen aller Personen, denen ich von dieser Neuigkeit erzählt habe. Allein der Entscheid zur Auslagerung macht schon hellhörig. Aber dass die Herzstücke von Luzerner Zeitung und St. Galler Tagblatt, die charakteristischen regionalen Seiten, neu im bosnischen Banja Luka korrigiert werden, macht die Sache zuerst 1.-April-verdächtig und dann einfach nur noch unverständlich und bizarr. Der Entscheid stimmt mich auch traurig, weil er den Respekt vor einem Berufsstand vermissen lässt und die Professionalität verkennt, mit der gewissenhafte Korrektorinnen und Korrektoren ihre Arbeit ausführen. Und ich suche nach Antworten auf Fragen, die sich mir aufgrund dieser Massnahme stellen.

Qualität einsparen?

Persönlich.com beruft sich im erwähnten Artikel «Korrektorat wird ins Ausland verlegt» vom 22. September auf einen Beitrag des Regionaljournals Zentralschweiz. Dieses befragte Pascal Hollenstein, publizistischer Leiter der NZZ-Regionalmedien, zum Entscheid. Hollenstein begründet die Massnahme mit dem Spardruck, dem die NZZ und ihre Regionalmedien ausgesetzt seien. Die Fakten sind uns bekannt: Die Erlöse aus dem Inseratengeschäft schrumpfen und immer weniger Menschen sind bereit, für ihre Zeitungslektüre zu bezahlen.

Hollenstein schildert dann sein Dilemma. Er sei vor der Wahl gestanden, das Korrektorat auszulagern oder ganz zu streichen. Offensichtlich will da jemand schönreden und sich noch zum Retter aufschwingen. Allein schon die Tatsache, dass Abschaffen als ernsthafte Option erwogen wurde, ist alarmierend.  Was ist von einer Strategie zu halten, die den Sparhebel an der Qualität ansetzt? Wohlgemerkt bezogen auf ein Produkt, für das Qualität ein Lebensnerv ist. Ich bin mir sicher: Lesende, die auf Printmedien setzen und sich für die tägliche Lektüre bewusst Zeit nehmen, sind überdurchschnittlich sprach- und qualitätsaffin.

Kann jeder korrigieren?

Der Auftrag fürs Korrekturlesen wird an ein deutsches Unternehmen vergeben, das in Bosnien eine Filiale unterhält und offenbar auch in Indien und Peru neue Teams aufbauen will. Die Mitarbeiterinnen seien ehemalige Flüchtlinge, wird der NZZ-Mann zitiert, die während des Jugoslawienkrieges in deutschsprachigen Ländern Zuflucht gesucht haben. «Viele von ihnen» hätten Germanistik studiert. Mal abgesehen davon, dass mich interessieren würde, welchen für die deutsche Sprache qualifizierenden Studienweg die wenigen anderen von ihnen eingeschlagen haben – diese Aussage zeugt von der grossen Hilflosigkeit, von der die Rechtfertigung nur so trieft. Und sie ist ein Affront gegen die Mitarbeitenden in den Korrektoraten der beiden Regionalmedien. Die Botschaft lautet etwas salopp ausgedrückt: Alle können professionell korrigieren, die halbwegs mit der deutschen Sprache zu tun haben.

Tatsache ist: Korrektoren sind Sprachexperten, Fachexperten. Ein Germanistikstudium versichert noch lange nicht, dass jemand in Rechtschreibung und Formulieren sattelfest ist. Wer an der Uni Germanistik studiert, hat mehrheitlich mit Literaturgeschichte zu tun. Die Linguistiker unter ihnen befassen sich mit Sprachgeschichte, Semantik, Soziolinguistik, Psycholinguistik – weniger mit Duden und Heuer.

Wird der Auslagerungsentscheid zum Bumerang?

Das Sparziel wird mit dieser Massnahme sicher erreicht, in Banja Luka wird für Niedrigstlöhne gearbeitet. Wobei Letzteres dem Image von Zeitungstiteln, die gerne mit Qualität in Verbindung gebracht werden wollen, bestimmt nicht zuträglich ist.

Die Kehrseite der Medaille sind die Arbeitsabläufe. Mit einem ausgelagerten Korrektorat wird der Produktionsprozess verkompliziert. Wir sehen in unserem Korrektorat, wie wertvoll jeweils eine enge Absprache und schnelles Reagieren sind. Dazu müssen wir optimal in den Arbeitsablauf eingebunden sein. Kenntnisse über örtliche Gegebenheiten oder hiesige politische Verhältnisse, wie sie fürs Korrigieren von Nachrichten aus dem Regionalressort notwendig sind, werden die Germanistinnen aus Banja Luka kaum mitbringen. Es wird auch verkannt, dass ein qualitatives Zeitungsprodukt nicht nur aus gut recherchierten Berichten und Analysen besteht. Geschichten können inhaltlich noch so spannend sein, wenn sie schlecht erzählt sind, verpufft die Freude am Lesen.

Fazit

Der Entscheid, die Korrektorate der NZZ-Regionalmedien in ein Land auszulagern, das weder sprachlich noch kulturell mit hiesigen Verhältnissen vertraut ist, ist rekordverdächtig unprofessionell. Wenn die Belegschaft in Banja Luka so aufgestellt ist, wie vom publizistischen Leiter geschildert, ist sie schlicht und einfach ungenügend sachverständig. Die Folge wird sein, dass die Qualität der beiden Zeitungen abnimmt und die Leserschaft verärgert wird.

Als langjähriger Abonnent von Luzerner Zeitung und NZZ bin ich vom Entscheid des Mutterhauses und der lokalen Chefredaktionen sehr enttäuscht. Ich werde die Sache genau beobachten und gegebenenfalls Konsequenzen ziehen, denn für die hohen Abogebühren verlange ich nicht nur inhaltliche, sondern auch sprachliche Qualität.

 

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4 Kommentare

Minder Roger 25.10.2017 - 09:30 Uhr

Bitte Korrekturlesen! "Der Genitiv ist halt auch der Regionalausgabe sein Tod – oder heisst es Tot ... ?". Der Entscheid der NZZ Geschäftsleitung überrascht mich nicht. Die Textqualität von Gratisblättern wie "20 Minuten" oder "Blick am Abend" zeigt in welche Richtung es nun auch mit den Regionalausgaben der NZZ-Medien gehen wird. Nach dem Motto aussen fix und innen nix, wird der Mantel auch weiterhin in gewohnter Qualität lektoriert und falls nötig korrigiert. Man darf gespannt sein, welche Auswirkungen das mittelfristig auf die Entwicklung der gedruckten Tagesmedien haben wird.

Maurer Thomas 26.10.2017 - 10:00 Uhr

Danke für den sehr guten Beitrag. Leider ist es so, dass heute Grundwerte lmmer weniger zählen. Ist zu hoffen, dass unsere junge Generation nicht all zu tief fällt. Im weiteren, werden zur Zeit auf allen Ebenen optimierungen gesucht, auf Teufel komm raus. Mit Gruss eines Handwerkers.

Meier Werner 26.10.2017 - 16:54 Uhr

Könnte es nicht sein, dass eine innovative Firma durch den Einsatz von spezieller Software das Korrekturlesen auf ein Minimum reduziert und so viel schneller und somit günstiger allfällige Fehler in einem Text aufspürt? Microsoft Word und dergleichen Programme helfen schon recht gut, wenn man die schlimmsten Fehler in einem Text beseitigen möchte. Es ist verständlich, wenn altgewohnte Wege beschritten werden um den persönlichen Untergang zu verwehren. Man kämpft für die eigene Existenz. Ein gutes Beispiel dürfte dafür die verpasste E-Mobilität der grossen deutschen Autobauer sein. Zu glauben man habe mit Hybridmotoren eine Lösung gefunden um all die abhängigen Arbeitsplätze zu erhalten ist offensichtlich falsch. Aber auch die Politik glaubt den Benziner erhalten zu müssen und steuert keinen Deut in die kommende Richtung. Vollbeschäftigung ist schliesslich der Motor, welcher das System und ihre Dienstleister finanziert. Ich frag mich nur wie lange noch, wenn kein Umdenken kommt.

Hilbrand Christian 13.11.2017 - 13:15 Uhr

Bei der täglich schwindenden Textqualität macht die Auslagerung des Korrektorats schon Sinn. Denn wirklich kompetenten Fachleuten ist es ja kaum zuzumuten, die Durchschnitts-Schreibe der NLZ korrekturzulesen. Dass mit solch fragwürdigen Sparmassnahmen die Qualität-Kostendruck-Spirale immer weiter nach unten gedreht wird, können die ertragsfixierten Manager und deren hörige Chefredaktoren bei NLZ und NZZ vermutlich gar nicht erkennen.


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Armin Barmet

Teamleiter Korrektorat, Texter, Kommunikation

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